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Thomas H. verliert seine Wohnung in Basel. Er befürchtet, obdachlos zu werden

Aktualisiert: vor 5 Tagen

In Basel-Stadt gibt es zwar ein gewisses Kontingent an Notwohnungen. Die Nachfrage übersteigt jedoch das Angebot.


Thomas H. hat die Geschichte seiner Wohnungskündigung akribisch dokumentiert.Foto: Nicole Pont
Thomas H. hat die Geschichte seiner Wohnungskündigung akribisch dokumentiert.Foto: Nicole Pont

Die Wohnungskündigung ist für Thomas H. ein weiteres Kapitel in einer nicht enden wollenden Tragödie. Er befürchtet, auf der Strasse zu landen. Wie diese Geschichte zeigen wird, ist das nicht

vollkommen abwegig, obwohl es jetzt wohl noch abzuwenden wäre. Angesichts seiner physischen Verfassung «wäre die Strasse für mich ein Todesurteil», sagt er bei einem Treffen Ende April in einem

unscheinbaren Café im unteren Kleinbasel. Thomas H. ist Mitte fünfzig. Seine Wangen sind eingefallen. Ende des letzten Winters wog er nur noch 40 Kilo.


Der Ursprung allen Übels sei, so erzählt er, die Heizung. Nach der Umstellung auf Fernwärme habe sie nicht mehr richtig funktioniert. «Ich hatte in der Wohnung Temperaturen nahe am Gefrierpunkt

», sagt H. Fürchterlich gefroren habe er. Seine Gelenkarthrose sei immer schlimmer geworden, ebenso sein Lungenschaden, den er sich nach einer Coronaerkrankung zugezogen hatte – «manchmal kann ich mich kaum noch bewegen». Der Lungenschaden ist hörbar. Wenn H. die Treppen zu seiner

Wohnung hochsteigt, gibt er in regelmässigen Abständen ein pfeifendes, zischendes Geräusch von sich. Er habe eine Lungenkapazität von noch etwa 20 Prozent, sagt er, als er einige Wochen später

an einem kleinen Tischchen in seiner Küche sitzt. Vor ihm liegt ein Stapel Papiere.



Wie es zur Wohnungskündigung kam

H. hat die Geschichte seiner Wohnungskündigung akribisch dokumentiert. Bei seiner Buchhaltung lässt er sich von einer Stiftung beraten, weil er zuweilen nicht imstande ist, den Papierkram zu erledigen, «und es mir wichtig ist, dass alles korrekt ist». Er verweist auf eine Heizkostenabrechnung, um die tiefen Temperaturen zu belegen. Zwischen dem 1. Juli 2023 und dem 30. Juni 2024 zahlte er tatsächlich gerade einmal 300 Franken Nebenkosten für die Raumwärme.


Der 55-Jährige lebt in einer Zweizimmerwohnung in einem Gebäude im Kleinbasel. Er zahlt rund 1000 Franken Miete. Das Haus gehört einer Stiftung, einer sozialen Vermieterin. Offenbar hat er

den Zustand erst einmal längere Zeit still ertragen, bevor er der Verwaltung den Missstand meldete. Danach sei aber auch nicht wirklich etwas unternommen worden, sagt er. Zu Beginn des vergangenen

Winters schreiben H. und der Sozialarbeiter, der ihn bei der Stiftung betreut, an die Verwaltung. Darin hält der Sozialarbeiter fest, dass die Heizungen in der Wohnung kalt sind und trotz Entlüftung auch kalt bleiben.


Aus einem Schreiben der Verwaltung an H. geht hervor, dass diese einen Sanitär vorbeigeschickt hat, als sie vom Mangel erfuhr. H. habe dem Sanitär jedoch «mehrfach» den Einlass verweigert. Ohnehin,

so die Verwaltung, würde er immer wieder Handwerker «verjagen» und sich gegenüber Mitarbeitenden im Ton vergreifen.


Die Verwaltung sagt gegenüber dieser Redaktion auch, dass sie nicht verstehe, wieso sich H. betreffend die Heizung nicht schon früher gemeldet habe.


H. widerspricht dem Vorwurf, er sei ausfällig gegenüber Mitarbeitenden geworden: «Eine dreiste Lüge ist das.» Nur den Haustechniker, den wolle wirklich nicht mehr in seiner Wohnung sehen. Es ist eine schwierige Situation. Im Frühling 2024 spitzt sie sich zu. Weil sich H. von der Verwaltung ungerecht behandelt fühlt, beginnt er, einen Teil seiner Miete zurückzuhalten. Statt das Geld auf ein Depotkonto bei der Schlichtungsstelle einzuzahlen, behält er es einfach für sich. «Ein Fehler», stellt er im Nachgang fest. Ende September erhält er die Kündigung – wegen 283.40 Franken Mietzinsschulden.


Nach einem Vergleich auf der Schlichtungsstelle wird er die Wohnung Ende November dieses Jahres endgültig räumen müssen.


Die Angst vor der Obdachlosigkeit

Im abgedunkelten Wohnzimmer steht der Laptop von H. auf einem Couchtisch. Dort sucht der gekündigte Mieter normalerweise nach Wohnungen. Bisher ohne Erfolg: «Es ist schwierig, eine zu finden,

die ich zahlen kann und die einen Lift hat.» Und jetzt ist auch noch das Betriebssystem seines Computers ausgestiegen. Er leidet unter Panikattacken. «Einen Winter auf der Strasse überlebe ich nicht.» Droht Thomas H. tatsächlich die Obdachlosigkeit? Ist es möglich, dass jemand in der Schweiz unfreiwillig obdachlos wird?


Einer, der Situationen dieser Art gut kennt, ist Basta-Grossrat Oliver Bolliger. Er leitet die Geschäfte der Stiftung Wohnhilfe. Sie hat sich darauf spezialisiert, Menschen in Basel vor der Obdachlosigkeit

zu bewahren. Er sagt: «Situationen wie die von Herrn H. sind für uns Alltag.» Dessen Angst vor der Obdachlosigkeit könne man nicht einfach so wegwischen mit dem Argument, in der Schweiz

müsse niemand auf der Strasse schlafen.


Die Stiftung Wohnhilfe führt aktuell eine Warteliste mit rund 20 Personen. Ein Teil der Wartenden lebe «wohnungstechnisch prekär » bei Freunden, so Bolliger, ein anderer vielleicht noch in der Wohnung mit dem Ex-Partner, obwohl dies nicht immer zumutbar sei, und wiederum andere tatsächlich auf der Strasse.


Das «Recht auf Wohnen» in Basel

Angesichts der wohnpolitischen Entscheide der basel-städtischen Stimmbevölkerung erstaunt diese Aussage. Im Sommer 2018 hat sie das «Recht auf Wohnen» in der Kantonsverfassung verankert.

Zurück geht es auf eine Initiative des Netzwerks Wohnungsnot. Und doch gibt es laut Bolliger keine Notbörse für Wohnungen im Kanton. «Wenn jemand seine Wohnung verliert und innert der

vorhandenen Zeit keine neue Wohnung findet, ist die Notlösung des Kantons die Notschlafstelle.»

Der Kanton widerspricht dem, zumindest in Teilen. Das Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt (WSU) schreibt, dass es faktisch schon eine «Notbörse» für Wohnungen gebe: Zum einen sind dies die sogenannten Notwohnungen, die vor allem Mietern und Mieterinnen mit Kindern zur Verfügung stehen. Sie sind als Übergangslösung gedacht, bis die Familie eine Wohnung findet.


«Aufgrund des Mangels an günstigem Wohnraum bleiben aber viele Personen viel länger als die geplanten sechs Monate in den Wohnungen», schreibt WSU-Sprecherin Sonja Körkel. Teilweise werden die Notwohnungen aus diesem Grund sogar in «Sozialwohnungen» umgewandelt, welche eine andere Kategorie der Notbörse für Wohnungen darstellen. Sie werden von der Sozialhilfe zur Verfügung gestellt. Das Angebot richtet sich an Menschen, die wenig Geld haben, verschuldet sind oder sonstige Nachteile

bei der Wohnungssuche haben. Aktuell hat der Kanton 106 Sozialwohnungen gemietet.


Als Antwort auf das «Recht auf Wohnen» fahren die Behörden seit einiger Zeit ausserdem den Ansatz «Housing First», bei dem es darum geht, dass Obdachlose eine Wohnung finden. Wenn alle

Stricke reissen, ist es aber tatsächlich so, dass die Notschlafstelle die letzte Option ist. «Für Einzelpersonen stehen sodann auch Notschlafstellen – getrennt für Frauen und Männer – zur Verfügung,

sodass niemand auf der Strasse übernachten muss. In diesen hat es immer genügend Plätze», schreibt das WSU.


Für Bolliger ist klar: «Die Notschlafstelle kann keine Dauerlösung sein. Es braucht weitere niederschwellige Wohnangebote, mit oder ohne Begleitung.» Das Ziel müsse wann immer möglich sein, dass Mieter gar nicht erst gekündigt würden, so Bolliger. Eine Kündigung wegen 280 Franken Mietzinsschulden wie im Fall von Thomas H. «finde ich etwas schräg».


Thomas H. geht vors Appellationsgericht

Tatsächlich stellt sich die Frage, weshalb die grundsätzlich sozial gesinnte Vermieterin hier nicht ein Auge zudrückte. Der Geschäftsführer der zuständigen Verwaltung bestätigt, dass die Kündigung wegen der Mietzinsschuld ausgesprochen worden ist. Er sagt jedoch auch, dass «wir kein Interesse daran haben, das

Mietverhältnis weiterzuführen». Dies, weil sich Thomas H. mehrfach im Ton vergriffen habe und gegenüber Mitarbeitenden der Verwaltung ausfällig geworden sei. Vor der Schlichtungsstelle hat

sich die Vermieterin einverstanden erklärt, dass der Mieter die Wohnung erst im November 2025 verlassen muss – «wir möchten schliesslich auch nicht, dass er auf der Strasse landet».


Thomas H. hat die Verfügung der Schlichtungsstelle nun ans Appellationsgericht weitergezogen. In der Zwischenzeit kann er auf die Hilfe von Stiftungen zählen, die ihn bei der Suche nach einer neuen Wohnung in Basel unterstützen. Einfach sei es aber definitiv nicht, sagt Oliver Bolliger, denn «der Bedarf ist klar höher als das Angebot».


Baz, 24.05.2025



 
 
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